G. D. Brettschneider
Till
Eulen-
spiegel
Schelmenschwank
 

 

 
G. D. Brettschneider
Till
Eulen-
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Schelmenschwank
 

 

Till Eulenspiegel

 

 

 

G. D. Brettschneider: Till Eulenspiegel
Schelmenschwank (2001)
nach Hermann Bote (um 1510)
Alle Rechte vorbehalten

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Till Eulenspiegel

 

 Die Taufe 

Hundertzwanzig Jahre, bevor die Burg des Raubritters Herwig von Uetzen durch das Braun­schweiger Heer zertrümmert wurde, kam Frau Anne Wiebke Eulenspiegel mit einem Knaben darnieder.

Zur Taufe ließ Till von Uetzen das Kind von Kneitlingen nach Ampleben holen und lud sodann, wie der alte Brauch es befiehlt, die Gäste ins Wirtshaus zum Bier.

Betrunken, schon im Dämmerlicht, schwankte die Amme, die das Kindlein trug, über den Steg am Fuß der Burg, wo das Rinnsal plätschert von den waldigen Hügeln des Elms, und stürzte.

Als man der armen Frau Eulenspiegel ihren vollauf besudelten, halb erstickten Säugling heimbrachte, raffte sie sich vom Wochenbett hoch, um ihn mit warmem Wasser sauber zu spülen, und folglich wurde der kleine Till Eulenspiegel binnen eines Tages gleich dreimal getauft: im Becken, im Bach und im Bottich.

Till wuchs heran; er wälzte sich auf den weichen Kissen, lernte gehn und stehn und sprechen, spielte mit anderen Kindern im Gras, doch gab es nichts, das er so sehr liebte, wie die Ausritte mit seinem Vater.

„Schaut nur den kleinen Schalk!“, riefen die Kneitlinger, wenn er, zwischen den Zügeln in starkem Arm gehalten, den Menschen zähne­bleckend die Zunge zeigte.

„Seht nur den kleinen Tunichtgut!“, schrien die Amplebener, wenn er, hinten zu Ross, den Reiter umklammernd, den Rock emporgelupft, aller Welt sein Arschloch entblößte.

„Nun haben wir dich schon dreimal taufen lassen“, lachte Vater dann, „doch du wirst immer noch von den Leuten beschimpft!“

 

 Die Gastfreundschaft 

Als Vater verstarb, kehrte Frau Eulenspiegel zurück nach Magdeburg, ihrer Heimatstadt, und bezog mit ihrem Sohn ein Haus unmittelbar neben der Saale, auf der die Lastenkähne in die Ferne schwammen.

In dieser Gegend war es ein guter Brauch, die Kinder der Nachbarn zum Essen einzuladen, wenn man ein Schwein geschlachtet hatte; jeder Hauswirt hielt sich an diese Gepflogenheit, bloß einem Gutspächter war sie überaus lästig.

Als die Jungen und Mädchen zu ihm kamen, schnitt er Brotrinde in den Fettnapf und setzte ihnen diese Suppe vor.

„Wir sind schon satt!“, riefen die Kinder bald.

„Ihr habt ja kaum drei Löffel gegessen!“, schimpfte der Pächter, und als die Kinder vom Tisch aufstanden, um heim zu gehn, zog er den Knüppel hervor, versperrte das Tor und zwang sie mit Schelte und Schlägen, den Fettnapf auszuleeren.

Ein paar Stunden später kriegten die Kinder die Scheißerei wie ein Hund, wenn er zuviel Gras gefressen hat, und keines wollte mehr beim Pächter essen gehn.

„Na, lieber Eulenspiegel“, rief der Mann lachend, als er Till kurz darauf in der Gasse traf, „wann kommst du denn mal wieder zum Schlachtefest?“

„Nicht mehr in der Feiste-Suppen-Zeit“, antwortete Till, „erst, wenn sich die Hühner ums Brot balgen!“

„Na, das tun sie jeden Tag“, sagte der Mann und schlenderte fort.

Als das Federvieh des Pächters eine Woche später vor dem Tor herumpickte, schnitt Eulenspiegel mehrere dünne Fäden zurecht, verknüpfte je zwei über Kreuz, band an jedes Ende ein Stück Brotrinde und legte die Leckerbissen auf der Gasse aus.

Mit lautem Gegacker eilten die Hühner herbei; sie pickten ein Brotstückchen auf und verschlangen es, aber der Happen blieb ihnen im Halse stecken, weil am Faden daran die andern Hühner zerrten; sie flatterten auf und würgten sich, bald erstarb das Gackern.

Da musste der Pächter, ganz ungeplant, erneut zum Schlachtefest laden, und die Eltern der Nachbarskinder mahnten ihn, diesmal etwas Anständiges aufzutischen.

 

 Die Geschicklichkeit 

Mit beinah sechzehn Jahren hatte Till noch immer kein Hand­werk erlernt, ausgenommen das Tanzen mit und auf dem Seil.

Er betrieb dieses Kunststück, weil Mutter es nicht leiden konnte, in aller Heimlichkeit auf dem Dachboden. Sobald sie ihn erwischte, griff sie zum Knüppel, um ihn herunter zu prügeln; dann wand er sich flink zur Luke raus auf den First und blieb dort sitzen, notfalls auch stundenlang, bis die Alte sich wieder beruhigt hatte.

Eines Tags war sich Till seiner Kunst so sicher, dass er ein Seil zu einem nahen Dach auf der andern Seite der Saale zu spannen wagte, und stieg mutig hinauf; schnell strömte das Volk, jung und alt gemischt, heran, um Tills wundersames Treiben zu bestaunen.

Gejohl und Klatschen schallte bis in die Küche, da stapfte Frau Eulenspiegel zornig die Stiege hoch auf den Boden: Die Luke stand offen, das Tau, am Sparren befestigt, lief straff hinaus, und im Freien, mitten über dem Fluss in der Höh, einen Stab in den Händen, stolzierte der Sohn.

„Das bade nur aus!“, zischte sie, zückte das Messer, schnitt sein Seil ritsch-ratsch entzwei und ging, derweil draußen Gelächter, weit lauter als der Beifall zuvor, aufbrandete, befriedigt hinab in die Küche und rührte in ihrem Topf herum, als wäre nichts geschehn.

Till stieg erhobnen Hauptes aus der Flut und schwor, den Spott keinesfalls auf sich sitzen zu lassen; er spannte schon kurze Zeit später das Tau zwischen zwei anderen Häusern der Innenstadt aus, und wieder versammelte sich unten das Volk.

„Welches Kunststück führst du uns heute vor?“, johlten die Leute.

„Ich lasse die Latschen tanzen auf dem Seil“, gab Till zurück, „und wenn mir jeder von euch seinen linken Schuh hinaufreicht, dann wird es noch besser!“

Anfangs entblößten nur arglose Kinder den Fuß und fädelten die Schlappen auf eine Schnur, die Till von oben hi­nun­ter­ließ, schließlich machten die Alten es nach, zuletzt hatte Till ein Bündel von hundert Schuhen geschnürt; ganz langsam schritt er mit seiner Last auf dem Seil umher.

„Nun aber gut aufgepasst“, rief er von oben, „jetzt beginnt euer Tanz!“

Er zog ein Messer hervor, schnitt ritsch-ratsch die Schnur entzwei, und den überrumpelten Gaffern purzelten Schlappen und Stiefel auf die Köpfe; lautes Geschrei erhob sich, weil jeder ein Schuhwerk zurückhaben wollte, wobei mancher wohl, nach beherztem Griff, eher guten Tausch erhoffte.

„Das ist meiner, du Räuber, du Schuft!“, schallte es über den Platz; man zerrte sich an den Haaren, fiel übereinander her, und schnell war eine Keilerei im Gang, wie die Stadt sie noch nicht gesehn hatte.

Eulenspiegel entfleuchte mit flinken Schritten über das Seil und die Dächer. Wochenlang saß er nur noch über Bücher gebeugt zu Haus, und seine Mutter wollte schon glauben, er sei endlich zur Vernunft gekommen.

 

 Die Notwendigkeit 

„Wirst du jetzt wohl ein Handwerk erlernen, mein Sohn?“, fragte Frau Eulenspiegel eines Tags erneut. „Sieh doch, wir haben seit vier Wochen kein Brot mehr im Haus!“

„Worum ich mich bemühe, das wird schon Früchte tragen“, gab er zurück. „Feiern wir halt Fastenzeit, auch wenn’s noch nicht im Kalender steht, und schlemmen ein andermal!“

Als ein Hausnachbar wenig später mit seinem Pferdekarren gen Staßfurt an der Bode zog, nutzte Till die Gelegenheit, ihn beim Ausflug zu begleiten. In der Stadt betrat er den Laden eines reichen Bäckers.

„Mein Lehrherr schickt mich, für zehn Schilling Brot zu holen“, behauptete Till und öffnete seinen löchrigen Sack. „Er will Ihrem Jungen das Geld in der Herberge geben!“

Der Bäckermeister zählte erfreut Brot und Semmeln vor und ließ den guten Kunden in Begleitung seines Lehrlings gehn, doch auf halbem Weg plumpste einer der Laibe durch das Loch im Sack auf den schmutzigen Boden.

„Oh je“, rief Eulenspiegel, „ein besudeltes Brot kann ich nicht meinem Herrn bringen, holst du mir schnell ein andres? Ich warte hier solange auf dich!“

Kaum war der Junge fortgelaufen, eilte Till zur Herberge, wo der Nachbar schon die Sachen packte: „Wo bleibst du denn bloß, ich habe längst meine Besorgungen erledigt!“

Till warf den Sack auf den Karren, begab sich auf den Heimweg und hatte Staßfurt, als der Lehrjunge wiederkam, keinen Kunden vorfand und den Bäcker holte, der allmählich begriff, dass er betrogen worden war, schon weit hinter sich gelassen.

Eulenspiegel brachte die Brote und Semmeln zur Mutter und sagte: „Nun wollen wir Weihnacht feiern, auch wenn Fas­tenzeit im Kalender steht!“

 

 Die Schwere 

Als im Nachbarort ein Jahrmarkt abgehalten wurde, ging auch Frau Eulenspiegel mit ihrem Sohn zwecks einiger Besorgungen dorthin, verlor ihn aber bald aus den Augen und fand ihn erst nach einer langen Suche, von böser Ahnung erfüllt, im Bierzelt wieder, wo er schon lallte und schielte vor Trunkenheit.

Zornig fluchte sie: „Dich soll der Teufel holen!“, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und wanderte heim, voller Kummer und Sorgen.

Till war es ganz recht, dass ihn die Alte in Ruhe ließ; er suchte sich gegen Abend ein Plätzchen, wo er frohgemut schlummern könnte, ohne gestört zu werden. Am Rande des Jahrmarkts fand er einen Imkerstand mit Bienenkörben, von denen einer leer war, und kroch in diesen hinein.

Gegen Mitternacht kamen zwei Diebe herbei, und einer flüsterte: „Wir greifen uns den schwersten Korb, da ist das meiste drin!“

So prüften sie alle der Reihe nach und schleppten dann jenen, der ihnen am besten gefiel, fort, hinaus, in die Finsternis; doch plötzlich, nach halbstündiger Stolperei, spürte der vordere Schlepper einen schmerz­haften Rupf am Schopf.

„Autsch, verdammt!“, fluchte der, „weshalb reißt du mir an den Haaren?“

„Du träumst wohl schlecht“, gab der Hintermann zurück, „ich halte doch den Korb mit beiden Händen fest!“

Aber ein paar Schritt weiter bekam er jäh einen Schlag in die Fresse, dass ihm der Schädel hart in den Nacken krachte. Wutentbrannt ließ er den Korb los und fiel mit Fäusten über seinen Vordermann her: „Du willst mich täuschen, Halunke, mich beseitigen, warte nur, jetzt kriegst du dein Teil!“

Die zwei Diebe prügelten sich, rollten die Böschung am Waldrand hinab und verloren sich in der Dunkelheit.

„Nein, was hab ich für seltsame Dinge geträumt“, murmelte Till am nächsten Morgen und fand sich, als er verkatert aus dem Bienenkorb lugte, in einer vollkommen fremden Gegend wieder.

„Nun ist es einerlei, wohin ich geh“, sprach er, begab sich auf die Wanderschaft und kehrte niemals mehr zur Mutter heim.

 

 Die ÄAehnlichkeit 

Auf dem erstbesten Weg schritt Eulenspiegel voran. Als er in fernem Nebel eine Burg erspähte, hielt er darauf zu, weil sein Magen knurrte, und schlug dort ans Tor.

„Ich bin ein Hofjunge“, sprach er, sobald ihm aufgesperrt wurde.

Der Junker ließ ihn gleich aufsitzen, ritt mit ihm übers Feld, und als er sah, dass Till sich leidlich halten konnte, droben zu Ross, kramte er sein Graubrot aus der Tasche und hieß ihn bei sich willkommen.

An dem Platz, wo sie rasteten, erblickte Till einen Acker, auf dem ein Kraut wuchs, mit Blättern wie Händchen geformt, das er noch nie gesehn hatte.

Der Junker knurrte: „Das ist der Siebenfingerhanf, da scheiß drauf! Aus den Fasern davon macht man Stricke und hängt Räuber dran auf.“

In der Folgezeit schleppte Till seinem Junker die Lanze nach, sobald er mit seinen Mannen ausritt, und sie ernährten sich aus dem Sattel, verschmähten den Herrendienst und stahlen, brandschatzten, plünderten, was die Dörfer und Höfe hergaben, und Eulenspiegel trug die Beute heim.

Eines ruhigen Tages auf der Burg, als Essenszeit war und sich die Gäste versammelten, flötete der Koch in den Saal: „Heute gibt es etwas ganz Besonderes, Herr Junker, Würstchen mit Siebenbürger Senf!“

Köstlicher Duft wehte herein vom Rost in der Küche, und Eulen­spiegel wurde schnell in den Keller geschickt, um noch das Töpfchen mit jener Leckerei zu holen, vor der man ihn, wenn er sich recht entsann, so eindringlich gewarnt hatte.

Kaum hatte jedoch der Junker sein Würstchen erwar­tungsfroh eingestippt, spie er den Bissen gleich wieder aus und schrie: „Pfui Teufel, dies Würstchen schmeckt ja, als hätt einer drauf­geschissen!“

Das war dem Koch zwar völlig unbegreiflich, doch er musste den Befund bestätigen, und zur Belustigung seiner Gäste sprach der Junker: „Diese fremdländische Köstlichkeit wird nun mein Koch selber ver­speisen.“

 

 Die Achtsamkeit 

Nach einiger Zeit wurde die Bernburg von Feinden belagert, denn die Dörfler waren es nun leid geworden, des Junkers Reiter und Hofleute speisen zu müssen, deren Anzahl ständig zunahm, und sie hatten im weiteren Umland Hilfe gesucht.

„Du musst auf den Burgfried hinauf, Eulenspiegel“, hieß der Befehl, „und blasen, sobald sie kommen!“

Von der Warte hatte Till einen weiten Blick übers Land und auch gute Sicht auf den Tisch im Hof, an dem die Ritter aßen. Ihn aber hatte der Koch vergessen, ihm knurrte der Magen laut, und rief er auch hinunter, man möge ihm eine Keule bringen, keiner hörte ihn. Geschwächt legte sich Till hinter die Zinnen und ließ gleichmütig seinen Blick in die Wolken streifen.

Rumms! knallte da ein Wurfgeschoss mitten auf den Tisch. Erschrocken fuhren die Ritter hoch, legten die Rüstung an und sprengten vors Tor; doch hatte sich der Feind schon verzogen, nur die Rinder von den Weiden vertrieben, Ställe und Scheunen in Brand gesetzt.

Zornbebend stapfte der Junker, kaum heimgekehrt, die Stufen hinauf und schrie: „Du musst blasen, Turmwächter! Hast du den Rauch nicht gesehn, sie haben mein Vieh gestohlen!“

„Nein, wirklich?“, fragte Eulenspiegel. „Ich seh die Wolken wohl, doch denk ich, das ist nur Hungerwahn!“

Wenig später griff der Junker mit seinen Reitern die Feinde an und rächte sich für den letzten Überfall. Mit einer Treibherde Vieh kehrten sie heim, voller Stolz, und sodann stieg ein Schlachtefest; köstlicher Bratenduft wehte hoch zum Turm, doch wieder war der Wächter vom Koch vergessen worden.

Da griff Till zur Trompete und blies Feindaio. Er­schrocken fuhren die Ritter hoch, legten den Harnisch an, griffen zur Lanze, sprengten vors Tor, pflügten über die Felder und jagten umher, so lange, bis klar war: Es gibt nichts zu tun.

Als der Junker heimkehrte mit all seinen Mannen, fand er den Tisch leergeräumt, den Burgfried verlassen vor und sprach: „Der kratzt sich mit Schalksnägeln, dieser Trompeter. Ein Glück nur, dass er getürmt ist!“

 

 Die Häaelfte 

Einen ganzen Sack voller Rinderbraten hatte sich Till von der Burg mit auf die Wanderschaft genommen. Als der Inhalt end­lich verspeist war, befand er sich schon im Braunschweiger Land und näherte sich Büddenstedt, wo er beim Pfaffen an die Tür klopfte und sich als Hofknecht vorstellte.

„Du sollst es gut bei uns haben und beste Verpflegung bekommen, ganz wie wir“, sprach der Hausherr erfreut. „Du brauchst hier auch nur halbe Arbeit zu leisten, denn eine Köchin hab ich schon!“

Die Magd spießte sogleich zwei Hühner auf und bat Eulenspiegel, neben dem Feuer Platz zu nehmen, um den Griff zu drehn, während sie sich um die Wäsche kümmern wollte.

Till aber ärgerte sich: „Wenn ich essen soll wie der Pfarrer und seine einäugige Köchin, dann fehlt doch ein Huhn!“

Als es Mittag wurde, kam die Magd herbei und rief erstaunt: „Da steckt ja nur ein Huhn am Spieß, wo ist denn das andre geblieben?“

„Mach dein zweites Auge auf“, erwiderte Till, „vielleicht siehst du’s dann!“

Dieser Satz erboste die Köchin sehr, und sie beklagte sich beim Pfaffen über seinen hübschen Knecht.

Der Hausherr kam in die Küche und sprach: „Warum verspottest du meine Köchin, und wo ist das Huhn geblieben?“

„Dort steckt es doch!“, rief Till. „Machen Sie beide Augen auf, dann sehn Sie, dass ein Huhn am Spieß brät! Das hab ich auch zur Köchin gesagt.“

„Aber das kann sie nicht“, lachte der Pfarrer. „Sie hat ja nur eins!“

„Das andre Huhn hab ich aufgegessen“, gestand Eulenspiegel. „Ich wollte nicht, dass Sie zum Lügner werden mit der Zusage, ich darf essen wie Sie!“

„Einverstanden“, sprach der Pfaffe zufrieden, „aber tu künftig, was dir die Magd befiehlt!“

Am nächsten Morgen bekam er den Auftrag, acht Kohlen ins Feuer zu legen, doch gab er nur vier hinein; die Kuh kriegte statt zwei Bündeln Heu, wie sie’s gewohnt war, bloß eins in die Krippe, und den Wassereimer brachte Till nur halbvoll vom Brunnen zurück.

Erneut fühlte sich die Köchin verspottet. Der Pfarrer seufzte: „Mein lieber Knecht, weshalb muss meine arme Magd nur so über dich klagen?“

„Sie würde halt gern mit beiden Augen sehn und kann doch bloß mit einem glotzen“, antwortete Till, „und was mich betrifft, so haben Sie schließlich gesagt, hier wäre nur halbe Arbeit zu tun!“

Da lachte der Pfaffe laut, aber die Köchin rief zornig: „Entweder, der schalkhafte Hofknecht geht, oder ich verlasse das Haus!“

Um die gute Magd zu besänftigen, versprach ihr der Pfarrer, für Eulenspiegel eine neue Beschäftigung zu suchen.

 

 Die Mitte 

Der Büddenstedter Küster war vor kurzem verstorben; weil die Bauern einen neuen Kirchen­diener brauchten, wurde Till von der Gemeinde in dieses Amt gewählt.

Als der Pfaffe sich von Eulenspiegel, der hinter ihm stand, sein weißes Hemd richten ließ, entfuhr ihm ein starker Furz, der gewaltig durch das Kirchenschiff knatterte, und Eulenspiegel fragte: „Wollen Sie das unserm Herrn als Weihrauch opfern, hier vor dem Tisch?“

„Das geht schon in Ordnung“, lachte der Pfarrer, „dies ist schließlich meine Kirche, ich kann hier auch mitten reinscheißen!“

„Na, das glaub ich kaum“, widersprach Eulenspiegel, „ich wett um ein Fass Bier, dass Sie das nicht zu tun wagen!“

Da schlug der Pfaff ein und lupfte sogleich das Hemd und hockte sich nieder und sprach dann zufrieden: „Schau her, Küster, schon hab ich das Bierfass gewonnen!“

„Das wollen wir doch erst mal prüfen“, zweifelte Till, und beim Nachmessen zeigte sich dann: Der Scheißhaufen lag zwei Schritte außerhalb der Kirchenmitte.

Als Till in der Wohnstube genüsslich sein Fass anstach, sagte die Köchin erbost zum Pfarrer: „Dieser Küster wird Sie noch in Schande bringen!“

 

 Die Leidenschaft 

Als die Osterzeit nahte, sprach der Pfaffe zu Till: „Es ist hier üblich, dass die Bauern ein Festspiel von der Auferstehung des Herrn aufführen, das musst du jetzt gut vorbereiten!“

„Ich brauche dafür Ihre Köchin, weil sie lesen kann“, sagte der Küster, „die Bauern sind ja so ungelehrt.“

Der Pfarrer war anstandslos einverstanden, die Köchin sogar erfreut; sie wollte den Grabengel spielen, weil sie dessen Reime auswendig wusste. Eulenspiegel suchte sich noch zwei Bauern hinzu, die er als Mutter des Herrn und als Mutter des Jakob anlernte.

Am Ostertag, als die Gemeinde in der Kirche versammelt war, traten die Mutterbauern vors Grab, und die Engelsköchin rief heraus: „Wen sucht ihr hier?“

Eulenspiegels Unterweisung eingedenk, sprachen sie: „Wir suchen die einäugige Pfaffen­hur!“

Da sprang ein zorniger Racheengel aus dem Grab und klatschte den Müttern die Faust ins Gesicht, dass ihnen die Augen schwollen, und sie schlugen zurück, bis dem Engel die Flügel abfielen, und schnell erstand aus dem Grab der Herr Pfarrer auf, ließ die Siegesfahne fallen und mischte sich ein in die Keilerei; auch die Bauern der Gemeinde liefen hinzu, sodann stürzten sie verknäult hinein in die Gruft, und zuunterst begraben lag der Pfaff auf seiner Hur.

Eulenspiegel aber ging fort und ließ die Büddenstedter einen andern zum Küster wählen.

 

 Die Tüuechtigkeit 

Als Till, der nach Braunschweig weitergewandert war, mor­gens die Herberge verließ und auf die Straße trat, rief ihn der Bäcker aus dem Nebenhaus zu sich und fragte ihn, welchen Beruf er habe.

„Ich bin“, antwortete Till, „ein Bäckergesell auf der Wanderschaft.“

„Das trifft sich gut!“, freute sich der Meister, „einen Knecht kann ich gebrauchen! Willst du nicht bei mir ar­bei­ten?“

Da brauchte Till nicht lange zu überlegen.

Zunächst ließ ihn der Bäcker Hof und Backstube fegen, später sollte Till die Kundschaft bedienen, und als es Abend geworden war, sprach der Meister: „Nun bin ich müd und will schlafen gehn, aber du musst noch die Maden aus dem Mehl sieben, damit du morgen früh gleich backen kannst!“

„Wo sind denn die Kerzen?“, fragte Till. „Es ist ja schon fast dunkel geworden!“

„Kerzen brauchst du nicht“, brummte der Bäcker, „geh hinaus in den Hof und siebe das Mehl bei Mondschein!“

„Das wird ebenso gut klappen“, erwiderte Eulenspiegel, „aber was soll ich dann backen?“

„Na, was wohl, du Bäckergeselle“, knurrte der Meister und stieg die Treppe empor, „vielleicht Eulen und Fle­der­mäuse?“

Früh am nächsten Morgen schwankte der Bäcker schlaf­trunken aus der Kammer und rief: „Na, bist du schon fleißig, Eulenspiegel?“

„Klar doch“, schrie Till zurück, „ich habe das Gewürm schon in den Kochtopf gesiebt!“

Diese Antwort kam dem Bäcker seltsam vor, doch als er in den Hof blickte, dachte er, ihn treffe der Schlag, denn sein Geselle stand immer noch dort, mit dem Sieb in der Hand, und von Mehl ganz weiß war der Hof.

„Bist du wahnsinnig, das teure Mehl in den Dreck zu schütten?“, brüllte er. „Diesen Schaden musst du mir ersetzen, ich verklage dich beim Schultheiß!“

Der Bäcker knallte die Tür zu und stapfte los.

Eulenspiegel rief hinterher: „Da ist kaum Schaden ent­standen! Wenn ich das Mehl zusammen­fege, geht nur eine Hand­voll verloren.“

Kurz vor Mittag erst kam der Bäcker zurück, weil er beim Schultheiß ein paar Stunden hatte warten müssen, bis er sein Anliegen vortragen durfte, und nun rief er zufrieden, bereits von der Gasse her: „Siehst du wohl, Eulenspiegel, ich habe Recht bekommen, du musst mir zehn Schilling zahlen für das verdorbene Mehl!“

Doch als er in die Backstube trat, blieb er wie vom Donner gerührt stehn, denn auf den Tischen und Borden im Raum hockten, knusprig braun gebacken, lauter Eulen und Fledermäuse.

„Bist du des Teufels?“, brüllte der Meister. „Ich kann das Viehzeug doch nicht als Brot verkaufen! Nicht genug, dass du mir nur das Mehl verdirbst, jetzt verfeuerst du noch das teuere Holz für deinen Unfug!“

Er machte auf dem Hacken kehrt, um erneut beim Bürgermeister auf Schadenersatz zu klagen.

Gegen Einbruch der Dämmerung, nach weiterer langer Wartezeit auf dem Amt, ging der Bäcker heimwärts und überquerte den Kirchhof. In dem Gedränge dort sah er Eulenspiegel, der sich einen Stand aufgebaut hatte und eben die letzte seiner Fledermäuse verknusperte.

„Ich hab ein glänzendes Geschäft gemacht, Meister“, sprach er und warf ihm lässig zwanzig Schilling für Mehl und Holz hin. „Heut ist ja der Nikolaustag, die Kinder haben mir die Tierchen schier aus der Hand gerissen!“

Dem Schultheiß aber platzte der Kragen, als der Bäcker, kurz nach Feierabend, nun zum dritten Mal heute vor ihm stand, um jetzt auf Gewinnbeteiligung zu klagen. „Auf diesen gescheiten Gesellen könnten Sie stolz sein!“, rief er und verdonnerte ihn wegen Belästigung der Obrigkeit zu einer Buße von vierzig Schilling.

Über den streitsüchtigen Bäckermeister spotteten die Braunschweiger jahrelang.

 

 Der Niedergang 

Als der Graf von Supplinburg zum Kaiser ernannt werden sollte, herrschte Zwietracht im Reich. Andere Kurfürsten versuchten mit Gewalt, die Herrschaft an sich zu reißen, und der neue Kaiser musste vor den Toren Frankfurts am Main, wo die Wahl stattfinden sollte, mit seinem Heer ein halbes Jahr voller Ungeduld ausharren.

In der Wetterau bei Friedberg traf Eulenspiegel den Bischof zu Trier, der ihn fragte, was er für ein Geselle sei, er trage so seltsame Kleider.

„Ich bin Brillenmacher, ich komm aus Brabant“, sagte Till, „aber da gibt es nichts zu tun, sodass ich nach Arbeit wandre!“

„Deinem Handwerk muss es jeden Tag besser gehn,“ sagte der Bischof, „alldieweil die Leute doch kränker werden und an Sehvermögen verlieren.“

„Es gibt aber etwas, das mein Handwerk verdirbt und es noch zum Aussterben bringen wird!“

„Ja, was denn, mein Junge?“

„Die großen Herren können bloß recht sehn, wenn man ihnen Geld bezahlt. Früher haben die Räte, Richter und Pries­ter nachgedacht und gelesen, damit nichts Böses geschieht, aber heute schlagen sie binnen vier Wochen kaum einmal ein Buch auf. Die Bauern betreiben mein Handwerk, deshalb find ich keine Arbeit mehr!“

„Da komm erst mal mit mir nach Frankfurt und schau dir diese Kaiserwahl an“, lachte der Bischof und ließ Eulenspiegel in seinen Wagen steigen.

 

 Die Bekehrung 

Einmal im Leben soll der Mensch den Heiligen Vater sehn, deswegen begab sich Till auf seiner Wanderschaft auch nach Rom und bezog ein Zimmer bei einer Wirtin, die bei der Begrüßung fragte: „Woher kommst du, schöner Mann?“

„Ich bin gebürtiger Niedersachse und will endlich mal ein paar Worte mit dem Oberhirten schnacken!“

„Mein lieber Freund, ich bin hier geboren und stamm aus bestem Haus, aber den Heiligen Vater hab ich noch nie sprechen können, obwohl ich hundert Gulden dafür hingäbe!“

„Immer nur her damit“, sagte Eulenspiegel, „eine Gelegenheit wird sich dann schon finden.“

Nach vier Wochen las der Gottesmann eine Messe in der Johanniskirche, bei der sich Till so dicht wie möglich heran­drängte; er kehrte freilich beim Andachtsgeflüster und Vater­unser den Hintern vor, desgleichen, als der Segen über dem Kelch gegeben wurde.

Nach der Messe teilte der Kardinal dem Papst mit, ein schöner blonder Fremder habe beim Beten den hübschen Knack­arsch vorgezeigt.

„Das muss man hinterfragen“, sagte der Papst, „es betrifft unsere Heilige Kirche. Falls es nur Unglauben ist, sollte man’s nicht bestrafen. Bring ihn zu mir!“

So wurde Till vor den Papst geladen und gefragt, welchem Glauben er anhänge.

„Dem gleichen wie meine Wirtin“, sprach er, worauf die Wirtin vor den Papst geladen wurde.

„Ich hänge dem Heiligen Glauben an und allem, was mir meine Kirche gebietet!“, rief die Wirtin; da begann Eulenspiegel spitzbübisch zu grinsen.

„Warum hast du bei der Stillmesse den Arsch nach vorn gewendet?“, fragte der Heilige Vater.

„Weil ich unwürdig bin, bevor ich meine Sünden gebeichtet habe!“

„Na, dann ist es wohl recht“, meinte der Papst erleichtert und zog sich in seine Gemächer zurück.

So kehrte Eulenspiegel völlig unbekehrt von dieser Wallfahrt heim.

 

 Die Nüuetzlichkeit 

Als Eulenspiegel in die Herberge beim Hildesheimer Stift einkehrte, wurde er von der Hausfrau erregt begrüßt: „Gut, dass Er wieder einmal hereinkommt, schöner Mann! Der Wirt ist fortgegangen, die Kleine liegt krank darnieder, was soll man da bloß tun?“

„Was hat denn das Kindchen?“, fragte Till.

„Sie mag nicht zu Stuhl kommen, obwohl es ihr dann bestimmt viel besser ginge!“

„Da ist freilich guter Rat teuer“, sprach Eulenspiegel.

„Ich werd Ihm geben, was Er auch verlangt, wenn Er mir nur hilft“, weinte die Wirtin.

„Dann soll Sie nur rasch das Mahl und eine Lagerstatt bereiten!“

Kaum dass die Wirtin den Raum verlassen hatte, schiss Eulenspiegel einen großen Haufen vor die Wand, stellte das Kinderstühlchen drüber und setzte die Kleine drauf.

Als die Mutter wiederkehrte, stieg ihr der Duft sogleich in die Nase, und sie fragte: „Ei, ei, wer hat das denn gemacht?“

„Das bin ich gewesen!“, sagte Till stolz. „Von dieser Arznei kann ich auch noch größere Mengen liefen, wenn Gott mir hilft!“

Er war der einsamen Frau Wirtin schon öfter mal nützlich gewesen.

 

 Die Gefäaelligkeit 

„Der Pfaff aus Kissenbrück bei Assenburg“, meinte der Braunschweiger Herzog, zu dessen Tischgesellschaft sich Eulenspiegel Zutritt verschafft hatte, und er schmunzelte bis an die Ohren, „der muss wohl etwas vom Reiten verstehn, ein ganz liebes Pferdchen hat er im Stall!“

„Was bekomm ich dafür“, fragte Till quer über den Tisch, „wenn Sie mal draufsteigen dürfen?“

„Dafür gäb ich meinen Mantel her“, sagte der Herzog verträumt und ließ das weiche, perlenbestickte rote Kamelhaartuch durch seine Hände gleiten.

So wanderte Eulenspiegel über Wolfenbüttel nach Kis­senbrück, wo der Pfaffe wohnte, bat ihn um Unterkunft und stellte bald auch fest, der Hausherr besaß tatsächlich solch ein wackeres Pferdchen, eine hübsche Magd, ein stattliches Heim dazu, und hatte das alles herzlich lieb.

Till blieb ein paar Tage und erkrankte plötzlich, laut ächzend lag er nieder zu Bett. Der Pfaffe wusste nicht, wie zu helfen sei und beschwor ihn, scharf zu beichten und Gottes Recht anzunehmen, denn er habe wohl sein Lebtag lang allerhand Sündhaftes getrieben.

„Ich wüsste nicht mehr, das ich getan hätt, als nur eine ganz kleine Sünde“, flüsterte Eulenspiegel, sehr kränklich und schwach, „doch die darf ich nicht beichten, Sie würden mir allzu sehr zürnen!“

„Den Wolfenbüttler Priester kann ich nicht holen, der Weg wäre zu weit“, sprach der Hausherr, den die Neugier plagte. „Vor Gott stünden wir schuldig da, wenn du in der Zwischenzeit stirbst. Sage mir nur, was deine Sünde ist, ich will dich freisprechen!“

„Ich weiß doch, Sie werden wütend sein“, seufzte Till, „aber ich spüre, mein Ende naht, und jene Angelegenheit ist folgende: Ich habe Ihr Pferdchen geritten!“

„Und wie oft“, fragte der Pfaffe, nach Luft schnappend.

„Nur fünfmal“, flüsterte Eulenspiegel ganz matt.

‚Dafür kriegt sie fünf Hiebe‘, dachte der Priester in seinem Zorn, sprach Till frei, lief zur Magd und schlug sie grün und blau, weil sie den Vorwurf bestritt.

Till aber gesundete schon in dieser Nacht; am frühen Morgen erhob er sich, kündigte seinen Aufbruch an und bat um die Rechnung fürs Verzehrte. Der Pfaffe war völlig von Sinnen, mochte kein Geld verlangen, schien bloß froh, bald wieder allein zu sein.

Till nahm die junge Magd bei den Händen und sprach: „Sei gemahnt, Priester, dass du die Beichte offenbart hast, ich verklage dich beim Bischof zu Halberstadt!“

„Tu das bitte nicht“, flehte der Pfaffe, „nimm zwanzig Gulden dafür!“

„Ich nähm auch nicht hundert Gulden, um zu schweigen! Nur wenn ich dein hübsches Pferdchen bekomm, will ich von der Klage absehn!“

Till führte das Pferdchen fort und ließ den Pfaffen mit rot verheulten Augen zurück. Vor dem Braunschweiger Schloss bat er die Magd, unter einem Tannenbaum zu warten.

„Hier haben Sie, worauf der Pfaffe zu Kissenbrück so gern reitet, mein Herzog“, rief er über den Tisch.

„Danke sehr, mein Stall ist wohlgefüllt!“, zischte der Schlossherr und warf Eulen­spiegel seinen guten Mantel hin.

So verließ Till die Welfenstadt reitend auf dem hübschen Pferdchen, im roten Tuch.

 

 Die Angemessenheit 

Im Dorf Gerdau bei Lüneburg hielt man es für angemessen, einmal im Jahr den Pfaffen mit seiner Magd zu beköstigen, denn Hochwürden schlemmten so gern; bloß ein altes Bauern­paar hatte schon seit vielen Jahren zu keinem Gastmahl mehr geladen.

An einem Sonntag nach dem Kirchgang rief der Pfarrer den Bauern zu sich und sprach: „Nun ist es wohl so weit, dass deine Kinder selbst Kinder großgezogen haben, seit wann bist du denn schon im Ehestand?“

„So lange, dass ich es vergessen habe“, meinte der Bauer nachdenklich, „ungefähr fünfzig Jahre bestimmt.“

„Das wäre gefährlich für euer Seelenheil!“, rief der Pfarrer besorgt. „Falls ihr nach fünfzig Jahren keine goldne Hochzeit feiert, ist das Treuegelübde hinfällig, und ihr seid verlassen. Sprich darüber mit deiner Frau!“

Am nächsten Sonntag besuchte die alte Bäuerin den Pfaffen und klagte, sie sei in großer Sorge um ihr Seelenwohl und ihren Ehestand, dessen Dauer sie leider nicht mehr aufs Jahr angeben könne, doch wolle sie sehr gern goldne Hochzeit feiern, Ochse, Schaf, Schwein und Hühner schlachten, Kinder und Freunde einladen.

„So ist es recht“, pflichtete der Pfarrer ihr bei, „ich will euch dann am nächsten Sonntag wieder zusammengeben“, und zu diesem Fest lud er auch den Ebstorfer Kloster­herrn ein, bei dem Till gerade weilte.

Dessen Gastgeber sprach: „Spring auf den jungen Hengst, Eulenspiegel, und reite nur mit, du wirst dem Hochzeitspaar willkommen sein!“

Das große Fest dauerte mehrere Tage, und als die alte Braut ein wenig erschöpft oder müde war, erhob sie sich von der Tafel, schritt hinter das Haus, wo die Gerdau floss, und streckte die Füße ins Wasser.

Dort umschmeichelten der Pfaff und Eulenspiegel, die soeben eingetroffen waren, die Braut mit Hengst, Bocksprüngen und allerlei Kunststücken, und weil Till das gar zu toll trieb, verlor er den Gürtel und sein gerbledernes Täschlein. Er bemerkte das erst, als er schon recht weit über den Acker geritten war, hielt zurück und fragte die Braut, ob sie es nicht gesehn habe.

„In meiner Hochzeitsnacht hab ich eine ganz gerblederne Tasche bekommen, auf der sitz ich immer noch drauf“, antwortete die Bauersfrau, „meinst du die vielleicht, junger Freund?“

„Ihre Tasche begehr ich nicht, gute Frau“, sprach Eulenspiegel, „das wird ein gamm­liges Ding sein, inzwischen!“

„Dann geh doch zum Taschenmacher!“, spottete die Bauersfrau und streckte die Füße ins Wasser, „hinten in Helm­stedt wohnt einer!“

Als Till später ebendort anlangte, rief er: „Heda Meister, ich brauche bald mal wieder ein Täschlein, machst du mir eins? Es muss aber auch ordentlich was reinpassen!“

„Na, gern doch“, hieß die Antwort, „nächste Woche bin ich so weit!“

Doch als Till nach einigen Tagen im Fremdenzimmer wieder hereinschaute, sprach er abschätzig: „Ach, das ist nur ein Täschlein für Zwerge! Mach es groß genug, damit ich nichts quetschen muss, ich gebe dir dann zwei Gulden dafür.“

Der Meister machte die Tasche so weit, bis man ein Kalb hineinheben konnte, oder einen Rupfensack mit Grützkorn, und zerschnitt sein ganzes Leder dafür.

„Ach, Täschner“, seufzte Till Eulenspiegel, „deine Tasch ist nun gewiss weit genug, aber eine, wie ich sie gern haben wollte, ist das noch immer nicht! Da soll ständig ein Gulden drin stecken, ohne jemals zu erschöpfen, wenn ich den Fuchsern etwas hinaus nehm, so eine Tasche bezahl ich dir gern, doch die leere da kannst du behalten!“

So blieb Till weiterhin ohne Beutel, und die Witwen Lüneburgs hielten ihr gerb­ledernes Brauttäschlein verborgen.

 

 Die Pfäaendung 

Eine Staßfurter Witwe, die ein Zimmer an Till vermietet hatte, besaß ein zottiges Hünd­chen, das immer, wenn es müde war, auf ihrem Schoß ruhte, und das sie über alle Maßen liebte.

Als Eulenspiegel beim Feuer saß und aus der Kanne trank, sprang der Hund auf und schmiegte sich ihm ans Bein.

„Gieß ihm ein bisschen Schaum in sein Schüsselchen“, sagte die Zimmerwirtin, „das mag er so gern.“

„Gern doch“, erwiderte Till und packte auch ein ordentlich dickes Stück Fleisch hinein, sodass der Hund gut abgefüllt war und sich hinstreckte.

„Wenn Sie mit einem Gast abrechnen, liebe Wirtin“, fragte Till später, „und er hat hier gegessen und getrunken, besitzt aber kein Geld, würden Sie dann den Betrag stunden?“

„Hier wird nicht geborgt und angeschrieben, Herr Gast“, sagte die Witwe streng, „man muss zahlen oder pfänden!“

In dieser Nacht schleppte Eulenspiegel den Hund in den Stall, stach ihn ab und zog ihm das Zottelfell über die Ohren.

Nach dem Frühstück rief er: „Bitte zahlen, Frau Wirtin!“

Die Witwe rechnete ab, Eulenspiegel zählte die halbe Zeche vor.

„Ja, und wer gibt mir den Rest?“, fragte sie.

„Es war noch ein Gast hier, der mitgetrunken hat“, sprach Till, „er kann zwar kein Geld bezahlen, gibt aber seinen besten Rock als Pfand“, und zog das Zottelfell unter seiner Jacke hervor.

„Du hast meinen Hund erstochen!“, schrie die Witwe voll Schmerz. „Verschwinde schnell aus meinem Haus, dir soll ein Unglück zustoßen!“

Eulenspiegel sattelte sein Pferd und sprach beim Da­von­rei­ten: „Bewahren Sie das Pfand gut auf, ich will kein Geld zahlen müssen, wenn ich herkomm und nichts trinke!“

 

 Die Waschung 

Als Eulenspiegel durch Thüringen zog, zu Nienstedt bei Sangerhausen um Herberge bat und von einer Zimmerfrau, der die Glupscher ziemlich schief im Kopfe standen, gefragt wurde, welches Handwerk er ausübe, sprach Till: „Ich sage die Wahrheit, Schielauge!“

„Du garstiger Mensch“, kreischte die Frau, „seit ich lebe, hat mich keiner darauf hingewiesen, dass ich Schielaugen habe!“

„Davon darf ich nicht schweigen, liebe Wirtin, ich muss allzeit volle Wahrheit sagen.“

Da lachte die Zimmerin wieder und meinte, ehrliche Leute beherberge sie gern und günstig und hieß Till willkommen, vorausgesetzt, wie sie dann listig nachschickte, der hübsche Junge könne ihr einen kleinen Gefallen erweisen.

„Schielauge, ich wasche dir den Pelz!“, meinte der.

„Das ist ein vorzüglicher Einfall“, kreischte die Wirtin, „da ruf ich doch gleich meine Nachbarinnen zusammen!“

Eine halbe Stunde später sangen Kinder in der Gasse: „Wasche Pelze, Eulenspiegel, kwutschewutsche, mit einem Spritzer warmer Milch!“

Als es dämmerte, hockten alle Frauen, denen es nach frischem Pelz gelüstete, die Schläuche prall mit Milch gefüllt, im Wirtshaus.

Till stellte den großen Waschzuber im Schankraum auf, ließ heißes Wasser einlaufen, die Pelze tauchen, sieden, seifen und schrubben und spritzte die Milch hinein bis zum letzten Tropfen.

„Das weiße Lindenholz, das junge, holt mir hoch aus dem Wald“, keuchte Till, „damit heiz ich euch ein!“

„Wir schaben gemeinsam die Rinde herunter, wir ent­blättern den Zweig!“, juchzten die Waschweiber, und auf der Straße riefen schon die Kinderchen: „Frische neue Pelze! Kwutsche, Till, und wutsche mir noch ein Spritzerlein!“

„Ja, wartet nur“, lachte Eulenspiegel, „die Pelze sind noch lange nicht fertig!“

Er schrubbte noch heftiger mit dem Lindenstock, doch dann stand er einfach auf und ging fort und ließ die Kessel erkalten, obwohl die Wäsche kaum eben so richtig toste und auch Klopfgang und Feinspülung noch fehlten.

Daher muss es kommen, dass die Frauen von Sangerhausen so verwuschelte Pelze haben.

 

 Die Wandlung 

In Leipzig ließen die Kürschner zur Fastnacht ein Zechgelage in der Herberge steigen, wo sich Till als Küchengehilfe verdingte, und verlangten zu vorrückender Stunde, dass ihnen Wildbret aufgetischt werde.

„Was soll ich nur machen, lieber Knecht?“, rief der Koch, „die Hasen hab ich schon geschlachtet, auf dem Dachboden hängen ihre Felle ab, die ich ihnen über die Löffel gezogen habe, was nützen sie mir jetzt noch?“

Da schnappte sich Eulenspiegel die Katze des Wirtes und nähte sie in eines der Hasenfelle ein. Anschließend lief er, als Bauer verkleidet, die Herbergsgasse entlang, wo bereits die ersten Betrunkenen herumlagen.

Eulenspiegel hielt seinen Hasen unter der Jacke verborgen, sodass nur die Löffel hervorschauten, doch einer der Kürschner rief sogleich: „Da bringt ja schon jemand unseren Braten herbei!“, und alle klatschten erfreut Beifall. Sie zahlten Till vier Silbergroschen für das Tier und noch sechs Pfennige für den alten Sack, in dem es zappelte.

„Heda, Koch!“, riefen die Zecher, „bereite uns diesen Hasen zu, denn uns knurrt schon der Magen!“

Bevor aber der Küchenmeister sein Schlachtemesser gewetzt hatte, wollten die Kürschner ihr späteres Mahl noch eine Viertelstunde durch den Kräutergarten hoppeln lassen, damit auch der Hofhund ein wenig Freude daran habe.

Als der Köter jedoch sein Gebell erschallen ließ, rief der Hase ängstlich: „Miau!“ und kletterte mit zwei, drei Sätzen auf den alten Apfelbaum, und der dumme Hund hatte das Nach­sehn, er konnte kläffen, so laut er wollte.

Die trunkenen Kürschner schauten sich nunmehr betreten an und schworen: „Dem ziehn wir das Fell über die Ohren, wenn der sich noch mal hier blicken lässt!“

Doch als Till ihnen die nächste Runde Bier auftischte, hatte er die Bauernkluft schon längst wieder abgelegt.

 

 Die Beratung 

Als der Magdeburger Bischof Burchard, der dem Querfurter Gra­fengeschlecht entstammte, erfuhr, Eulenspiegel, von des­sen Streichen er schon allerlei gehört hatte, befinde sich in der Herberge in Halle an der Saale, lud er ihn herzlich ein auf Schloss Giebichenstein, welches der Kirche gehörte, denn der Bischof umgab sich gerne mit Narren und Spaßmachern; er konnte von Tills Erzählungen gar nicht genug bekommen, entlohnte ihn reichlich, schenkte ihm vornehme Kleider, und sogar das Hofgesinde mochte Till gut leiden.

Der Bischof hatte jedoch einen Berater, der die Erfurter Hochschule besucht hatte, sich für klug und gelehrt hielt und immer wieder versuchte, dem Kirchenherrn die Neigung zu Spaßmachern auszureden. „Narren zu Narren, Weise zu Weisen“, sprach er. „Haben die Fürste weise Leut um sich, ernten sie Weisheit; halten sie Narren am Hof, lernen sie Narren­possen.“

Solcherlei Tadel verdross auf die Dauer den Bischof mit seinem Gesinde, und weil der Berater seit langem kränkelte, sich zumeist im Bett aufhielt und Eulenspiegel folglich noch nicht gesehn hatte, wurde Till vom Hausherrn ersucht, die Gelehrsamkeit auf die Probe zu stellen.

Gleich zu Beginn der nächsten Woche meldete ein Rittersmann dem siechen Berater die Ankunft eines fremden Heilkundigen in der Stadt, den der Gelehrte hoffnungsvoll auf die Burg lud; in Ausführlichkeit beschrieb er sein Gebresten.

Der Doktor wiegte nachdenklich sein Haupt und sprach: „Ich muss eine Nacht bei Ihnen schlafen, mein Herr, um Gewissheit über Ihre Veranlagung zu erlangen, und außerdem will ich Ihnen etwas geben, das Sie tüchtig zum Schwitzen bringt!“

Der Berater schluckte das bittre Treibmittel, das ihm gereicht wurde, löschte die Kerze und ging mit dem Arzt zu Bett, wo ihn Schlaf überfiel. Der Arzt spritzte zwei tüchtige Schuss Lendensaft in ein Schälchen und stellte es dem Gelehrten, der zur Wand gekehrt lag, auf seine Bettkante.

Nicht lange, da stieg dem Kranken der scharfe Dunst in die Nase, bis er sich zum Doktor hin umwälzte; dieser ließ jedoch einen stillen Furz fahren, der übel stank, und so drehte sich der Berater zurück zur Wand, wo auf der Kante die scharf dünstende Schale stand, und wendete sich dann die halbe Nacht hindurch von einer Seite zur andern, bis endlich das Treibmittel wirkte, so schnell und stark, dass der Gelehrte sich gänzlich verunreinigte und der Arzt, nach Luft schnappend, ausrief: „Was mag das wohl für ein übler Schweiß sein, den Sie absondern, mein Bester? Ich will ein Licht holen, damit ich sehn kann, wie es um Sie bestellt ist!“

Der Berater fühlte sich nunmehr so jämmerlich, dass er kaum den Kopf heben konnte; er dankte Gott, dass er ihm den Arzt geschickt hatte, und fiel bald wieder in unruhigen Dämmerschlaf.

Gegen Morgen klopften Ritter und Hofleute an der Kammertür, traten ein und meldeten, der Arzt sei nun abgereist und habe ihnen den Auftrag erteilt, hier nach dem Rechten zu sehn; da schreckte der Gelehrte von seiner besudelten Bett­statt hoch, griff in die scharf dünstende Schale, erbrach sich, schleppte sich dann in den Saal, auf die ge­pols­terte Bank, und mochte nicht recht antworten auf die Frage, was ihm heut Nacht widerfahren sei.

Der Bischof trat später hinzu und fragte: „Nun, mein Bes­ter, hat Sie Doktor Eulenspiegel ordentlich in Schweiß gebracht?“, und als der Gelehrte vor Geschwächtheit nichts sagen konnte: „Niemand ist weise, wenn er keine Narren kennt!“

 

 Die Bildung 

Mit einem bischöflichen Empfehlungsschreiben in der Tasche reiste Doktor Eulenspiegel weiter nach Erfurt und befestigte Aushänge an den Türen von Hochschule und Kirchen, ein Gelehrter sei in der Stadt eingetroffen, um die verbliebenen großen und letzten Fragen zu beantworten; da bedrängten die Studenten ihren Rektor, dem fremden Magister einen Hörsaal für seine Gastvorlesung zur Verfügung zu stellen.

Die Sache erschien den Professoren zwar sehr dubios, doch der Rektor, dem das Empfehlungsschreiben von einem Boten überreicht worden war, schickte seinen Pedell zu Till hin und bat ihn, gleich am nächsten Montagmorgen im Auditorium der Universität zu dozieren.

Am festgesetzten Tage waren die Bänke des Hörsaals bis auf den allerletzten Platz belegt. Eulenspiegel bestieg das Po­dium, schritt zum Rednerpult, begrüßte den Rektor, die Professoren, die Magister und alle Studenten, stellte sich langatmig vor und hielt einen reichlich weitschweifigen Vortrag über deutsche Landschaften zwischen Himmel, Gebirge und See.

Als er geendigt hatte und sich bereit erklärte, auf möglicherweise verbliebene Fragen zu antworten, falls die Zeit es noch erlaube, schossen im Publikum doch einige Finger in die Höh; so begehrte ein Physikstudent zu wissen, wie viel Fass Wasser sich in den sieben Meeren befänden.

Eulenspiegel sagte: „Junger Herr, lass die Ströme still­stehn, welche überall in den Ozean fließen, so können wir gleich mit der Messung anfangen und die Zahl bestimmen.“

Ein Magister der Historiographie fragte, wie viele Tage seit Adams Zeiten bis heute vergangen seien.

„Nur sieben“, antwortete Till, „denn sobald sie vergangen sind, beginnen sieben neue Tage, und so währt es bis zum Ende aller Zeiten.“

Der Professor für Geographie verlangte Auskünfte, wo die Weltenmitte sei und wo der Himmel anfange.

„Sie ist ganz genau da, wo ich steh“, sagte Till, „wir können es mit einer Schnur ausprobieren, denn falls sie nicht senkrecht hängt, so will ich Unrecht haben; der Himmel aber beginnt gleich hier über meinem Kopf, und wenn Sie hi­nauf­stei­gen, können Sie mich vom Himmel aus unten reden hören.“

Nun erhob sich der Rektor und sprach: „Verehrter Doktor Eulenspiegel, Sie haben mit Ihrem Referat unsere Aufmerksamkeit gefesselt und jede Question auf das Zufrieden­stellendste beantwortet, allein eine Frage bedrückt mich noch immer, denn wir haben im Lauf der Jahre viele gelehrige Studenten an dieser Alma Mater betreut, aber auch mit manchem Dummkopf unsere Zeit verschwendet: Woran, lieber Doktor Eulenspiegel, könnten wir bloß frühzeitig erkennen, welcher der Novizen genügend Intelligenz besitzt, um sein Studium zum Abschluss zu führen?“

„Der Lernerfolg hängt ausschließlich vom Talent der Lehrer ab“, gab Till freundlich zurück, „jedem Esel kann man das Lesen beibringen!“

Bei dieser Antwort erhob sich Tumult im Saal, und der Professor für Jurisprudenz zischelte dem Rektor ins Ohr: „Solch ein Projekt erschiene mir als geradezu heliozentrische Ketzerei!“

Doch der Rektor klopfte nachdrücklich auf den Tisch, bis der Lärm sich gelegt hatte, und sprach: „Wir sind durchaus gewillt, Herrn Doktor Eulenspiegel beim Wort zu nehmen!“

Damit war die Versammlung beendet.

Der Rektor führte Till hinter die Universität zu einem Stall, worin ein junger Esel scharrte, und fragte: „Wollen Sie gleich diesen in die Lehre nehmen, Magister?“

„Gerne“, sprach Eulenspiegel, „der Unterricht mag freilich einige Jahre dauern, weil die Ausbildung dieses armen Tieres bisher so vernachlässigt worden ist. Ich bitt auch um ein Honorar von fünfhundert Gulden!“

„Einverstanden“, sagte der Rektor, „ich lass Ihnen gleich morgen einen Vorschuss auszahlen.“

„Das hat sich dieser Magister fein ausgedacht“, zischte der Rechtsgelehrte dem Rektor auf dem Rückweg zu. „In ein paar Jahren sind Sie vielleicht gestorben, so wär er seiner Pflichten ledig, oder er selber stirbt, auch dann könnt ihn keiner mehr tadeln, oder der Esel stirbt, und das wär ihm bestimmt am liebsten!“

Till steckte sechsundzwanzig Haferähren zwischen die Seiten eines alten Psalmen­buches und legte es dem Tier in die Futterkrippe. Nach kurzer Zeit hatte der Esel verstanden, dass er die Leckerbissen erhaschen konnte, wenn er die Buchseiten mit seiner schlabbrigen Zunge umblätterte.

Während einiger Tage übte Eulenspiegel mit seinem Schüler diese Fertigkeit ein, dann bestellte er den Rektor, die Professoren und alle Magister für den nächsten Montag zur Lehrprobe in den Stall.

Der junge Esel hatte schon das ganze Wochenende lang nichts mehr zu fressen bekommen, als Eulenspiegel mit seinem Gefolge den Stall betrat und ihm ein neues Buch vorlegte. Der hungrige Vierbeiner warf die Blätter um, doch fand er diesmal keinen Hafer dazwischen, und auf jeder Seite rief er deswegen laut: „I-a, i-a!“

Davon waren der Rektor und die Magister au­ßer­or­dent­lich beeindruckt, und der Professor für Jurisprudenz meinte: „Solch ein Lernerfolg innerhalb einer Woche ist unbestreitbar unglaublich!“

„Man darf niemals das polyglott animalische Potenzial dubitieren“, sagte Till streng. „Wie Sie hören, haben wir zunächst mit unserem vokalischen Exerzitium begonnen. Mit dem restlichen Alphabet wird es, wegen der konsonantorischen Hemmung des Sprechapparates beim Lesel, noch ein kleines bisschen länger dauern!“

Mit sanftem Lächeln nahm Professor Eulenspiegel die Ovationen entgegen, die seinen Vortrag belohnten, und emeritierte wenig später, als Begründer des Asinusischen Lehrstalls, mit einem Zertifikat magna cum laude von der Universität Erfurt.

 

 Die Heilung 

Mit seinem Erfurter Hochschulzeugnis kam Eulenspiegel nach Nürnberg, wo er durch Aushang an Kirchentüren und Rathauswänden bekannt gab, ein Arzt sei in der Stadt eingetroffen, der jede Krankheit zu lindern wisse.

Nun lagen zu dieser Zeit sehr viele Menschen im Siechenhaus zum Heiligen Geist darnieder, denen der Verwalter von Herzen Gesundheit gegönnt hätte, um sie entlassen zu können, und so bat er Till um Hilfe.

„Ich kann Ihre Kranken schnell auf die Beine bringen, wenn Sie mir zweihundert Gulden zusagen wollen“, versprach Eulenspiegel. „Falls es mir nicht gelingt, brauchen Sie natürlich keinen Groschen zu zahlen!“

Im Schlafsaal fragte Till jeden Kranken nach seinen Gebresten und flüsterte ihm anschließend ins Ohr: „Was ich dir jetzt sage, muss unter uns bleiben, denn um euch zu heilen, will ich euch ein homöopathisches Medikament verabreichen; aber um es herzustellen, muss ich den Allerkränkesten von euch zu Pulver verbrennen, damit ihr an seiner Asche genesen könnt!“

Als Till am nächsten Morgen mit dem Verwalter in den Schlafsaal trat, rief er mit lauter Stimme: „Nur immer frisch aufgestanden, wer hier kein Kranker ist!“

Da sprang ein jeglicher auf seine krummen und lahmen Beine, hätte auch seit zehn Jahren er sich nicht mehr vom Bett erhoben, denn keiner wollte letzter sein.

Sobald das Siechenhaus leer war, verlangte Doktor Eulenspiegel sein Honorar; der Verwalter legte vor Dankbarkeit noch zwanzig Gulden drauf, dann sattelte der fremde Heilkundige sein Pferd.

Doch nach drei Tagen kamen die Gebrechlichen und Brest­geplagten zurück und beklagten erneut ihre Krankheit.

 

 Die Einbildung 

Von dem in Nürnberg verdienten Geld kaufte Till einem reisenden Händler aus Flandern ein paar auf Leintuch gemalte Bilder ab und wanderte nach Hessen, bis er in Marburg an den Hof des Landgrafen gelangte.

„Ich bin ein Künstler, gnädiger Herr“, so stellte er sich mit einer Verbeugung vor, „und meine Malerei übertrifft die Arbeit anderer bei weitem!“

„Lass uns Beispiele sehn“, bat der Landgraf, und als Eulenspiegel einige Bilder aus dem Sack gezogen und entrollt hatte, sprach er: „Das gefällt uns recht gut, Meister! Möchtest du nicht die Stirnwand unseres großen Saals bemalen mit den Ahnen des Grafengeschlechts von Hessen, dem befreundeten König von Ungarn und seiner lieben Tochter, welche die Elisabethkirche in unsrer Stadt gestiftet hat? Wir wünschen uns das nämlich in der allerkunstvollsten Ausführung!“

„Wenn Sie mir diesen Auftrag erteilen wollen, gnädiger Herr“, überlegte Eulenspiegel, „so wird es wohl vierhundert Gulden kosten, denn ich muss für solch ein großes Werk auch zwei, drei Gesellen beschäftigen.“

„Mach uns das bloß recht ordentlich, Meister, wir wollen das gut belohnen“, sprach der Graf und gab Anweisung, dem fremden Künstler hundert Gulden für Farben auszuzahlen.

Als Eulenspiegel mit drei Gesellen die Arbeit aufnahm, erbat er sich aus, dass der große Saal verschlossen bleibe, damit sie nicht in ihrer schöpferischen Tätigkeit gestört seien; diesem Wunsch wurde selbstverständlich entsprochen.

Im Lauf der folgenden Wochen konnte der Graf, in zehrend wachsender Neugier, nur vorm versperrten Eingang auf und ab gehn, und er hörte beim Lauschen am Türblatt bloß leises Getuschel, verhaltenes Gelächter und ein seltsam klackerndes Geräusch wie vom Würfelspiel.

Als der Graf die Ungeduld nicht mehr ertragen konnte, sprach er Eulenspiegel an: „Ach, lieber Meister, uns drängt es gar sehr, euer Gemälde zu betrachten, wir begehren, mit dir in den Saal zu gehn!“

„Unsere Arbeit ist auch schon beinah fertiggestellt, gnädiger Herr“, sagte Till, als er die Tür aufsperrte, „doch auf eines muss ich noch hinweisen: Wer euch begleitet und nicht rechtmäßig ehelich geboren ist, vermag auf diesem Gemälde gar nichts zu erkennen!“

„Das wäre zu großartig“, staunte der Graf und dachte bekümmert an seine langjährigen, fruchtlosen Bemühungen, durch Vermischen von grauem Blei und Quecksilber Gold zu gewinnen.

In Begleitung des Grafen schritt Eulenspiegel in den Saal und wies mit einem dünnen Stöcklein auf die Stirn­wand: „Sehen Sie, gnädiger Herr, dieser Mann hier, aus dem römischen Geschlecht der Columnese, ist der erste Landgraf zu Hessen gewesen; er hat eine Herzogin von Bayern geheiratet, die Tochter des milden Justitians, der später Kaiser wur­de; in dieser Ehe wurde Adolf geboren, Vater Wilhelms des Schwarzen, welcher Ludwig den Frommen zeugte, und hier immer weiter bis zu Ihrer Durchlaucht, gnädiger Herr! Ich bin sicher, dass niemand meine Arbeit wird rügen können, so kunstvoll und farbenfroh, wie sie ausgeführt ist.“

„Vielen Dank, lieber Meister“, murmelte der Landgraf und verließ den Saal, „uns genügt deine Arbeit vollkommen, wir hätten auch nicht ausreichend Kunstverstand, sie zu tadeln.“

Als der Graf zur Fürstin kam, fragte sie: „Gnädiger Herr, was malt Ihr freier Künstler? Sie haben heute sein Werk betrachtet, gefällt es Ihnen?“

„Ich habe nichts daran auszusetzen, liebe Frau“, sprach der Graf, „doch ich denke, Sie sollten es einmal mit eigenen Augen sehn.“

So begehrte die Fürstin Einlass. Als Eulenspiegel seinen Hinweis wiederholte, zog sie neun Jungfrauen hinzu, von denen eine als närrisch galt, und betrat mit ihnen den Saal; erneut erklärte Till die Ahnenreihe auf seinem Gemälde, jedoch schwiegen die Fürstin wie auch die Jungfrauen, erhoben weder Lob noch Tadel.

Beim Hinaustreten auf den Gang sagte die Närrin: „Soll ich auch künftig als Hurenkind gelten, mir erscheint die Stirn­wand so weiß gekalkt wie seit eh und je!“

Da ging die Fürstin zum Grafen und sprach bekümmert: „Mein allergnädigster Herr, dieses Gemälde gefällt mir so gut wie Ihnen, doch unsere närrische Jungfrau vermag nichts drauf zu erkennen, und die übrigen schweigen.“

Das ging dem Grafen zu Herzen, zumal ihm der Diener meldete, dass der Maler vereinbarungsgemäß weitere hundert Gulden vom Rentmeister empfangen habe und nun seine Sachen packe; auch die Gesellen seien bereits bezahlt und ent­lassen worden.

Der Graf rief am nächsten Tag die Ritterschaft und sein Hofgesinde zusammen, um zu prüfen, wer nicht rechtmäßig ehelich geboren sei, denn er war in großer Sorge, dass ihm das Lehen verfallen könne; aber niemand bestätigte, auf dem Wandbild irgend etwas zu erblicken.

Da sagte der Landgraf: „Ein wenig hat es den Anschein, wir seien betrogen worden. Den Verlust von zweihundert Gulden können wir wohl verschmerzen, doch dieser schalk­hafte Maler darf Hessen nicht mehr betreten!“

 

 Die Köoestlichkeit 

In Hildesheim kaufte sich Eulenspiegel eine gute Rotwurst an der Fleischbank vorm Rathaus und wanderte weiter nach Hoheneggelsen, um den dortigen Pfarrer zu besuchen; der war freilich noch in der Sonntagsmesse, als Till bei ihm schellte, und so bat er die Magd, ihm die Wurst zu braten, anschließend ging er in die Kirche, wo jedoch inzwischen ein anderer Pfaffe die Lobgesänge angestimmt hatte.

Der Hoheneggelser Priester ging heim und fragte seine Köchin: „Was gibt es zu essen? Mir knurrt schon der Magen!“

„Ich habe die Wurst gebraten, die Eulenspiegel gebracht hat“, antwortete sie, „die will er nach dem Gottesdienst ver­speisen.“

„Oh fein, davon muss ich einen Bissen kosten“, sprach der Pfarrer, „reich her!“

Die Wurst schmeckte so vorzüglich, dass er sie gleich ganz hinunterschlang und seiner Magd sagte: „Dieses Mahl hat mir Gott gesegnet. Gib Eulenspiegel Kohl und Speck zu essen, so wie er’s gewohnt ist, wenn er kommt!“

Nach dem Seelamt kehrte Till ins Pfarrhaus zurück, wurde herzlich begrüßt und bekam als Dank für sein Mitbringsel einen Teller Kraut vorgesetzt. Eulenspiegel schwieg, und als er montags aufbrach, rief ihm der Pfaffe nach: „Bring nächstes Mal zwei Würste mit, wir wollen schlemmen, bis uns die Mäuler triefen!“

Till kehrte zurück nach Hildesheim und traf dort einen Schinder an, der eben eine tote Sau mit Grind und Geschwüren in die Speigrube kippen wollte.

„He Schinder!“, rief Eulenspiegel, „will Er mir nicht rasch zwei rote Würste von seinem Aas machen? Er soll auch zehn Silberpfennige dafür bekommen!“

Am nächsten Sonntag machte sich Till wieder auf den Weg nach Hoheneggelsen, reichte der Köchin seine Würste zum Braten und besuchte den Gottesdienst.

Der Pfaff erkannte ihn in der Messe, eilte heim und fragte die Magd: „Ich hab Eulenspiegel gesehn, hat er etwas Feines zu essen mitgebracht?“

„Gewiss doch“, lautete die Antwort, „zwei selten schöne Würste, gleich sind sie fertig gebraten!“

Als die Magd sie von der Glut nahm, lief auch ihr das Wasser im Mund zusammen, und so machten sie sich beide über die Würste her, dass ihnen die Mäuler schäumten.

Da kam Eulenspiegel von der Kirche zurück und rief: „Ja, seht bloß, wie Eure Münder triefen, habt Ihr etwa die Würste verzehrt?“

Der Pfaffe nickte, und seine Magd wischte sich keuchend mit dem Handrücken über die Lippen.

„Das Gesabber kommt wahrscheinlich von der Seife, womit ich die Maden und Schmeißfliegen von dem Schweinefleisch aus der Aasgrube runtergespült habe“, erklärte Till.

Da kotzte die Köchin quer über den Mittagstisch, und der Pfaffe griff nach dem Knüppel und schrie: „Verlass auf der Stelle mein Haus, du Galgenstrick!“

„Solcher Zorn steht einem frommen Mann übel zu Gesicht“, sagte Till, „bezahlt mir doch erst mal die beiden Würste, die Ihr heute verzehrt habt, so schweig ich von der dritten!“

„Deine faulen Schinderwürste kannst du allein fressen!“, tobte der Pfarrer.

„Das will ich gar nicht, außerdem habt Ihr sie Euch selber in den Leib gesteckt. Von der guten Wurst letzte Woche hätt ich wohl gern ein paar Bissen verzehrt, aber Ihr habt sie Euch ohne Dank genommen. Dann esst auch das Gammelgeschwür gleich hinterher!“

 

 Die Reinlichkeit 

Die Badestube vor dem Leinetor in Hannover war so fein rausgeputzt, dass es dem Bademeister nicht gefiel, wenn man sie nur „die Schwitzbude“ nannte; und als Eulenspiegel eintrat, wurde er dort mit den Worten begrüßt: „In der Sonne draußen liegt Asche und Staub der Erde, dies aber ist ein Haus der Reinlichkeit.“

„Das trifft sich sehr gut“, sprach Eulenspiegel, „ich komm unrein herein und will gereinigt hinausgehn.“

So hockte sich Till in der Schwitzbude hin und schiss einen großen Haufen genau vor den Ofen, worauf den andern Badegästen von dem Gestank beinah schwindelig wurde, und der Bademeister zürnte: „Deine Worte waren mir angenehm, doch dein Tun bereitet mir Übelkeit! Wie kann man sich nur so verhalten im Haus des Reinlichseins?“

„Ich bedurfte der inneren Reinigung weit mehr denn der äußeren“, erwiderte Till, „sonst wär ich nicht gekommen!“

„Dieser Art Reinlichkeit gibt man sich auf dem Scheiß­haus hin!“, schimpfte der Bademeister.

„Auch solcher Dreck stammt vom Menschenleib, auch innen muss man sich reinigen“, beharrte Till.

„Diesen Scheiß putz ich nicht weg, das kehrt morgen der Schelmenschinder in seine Grube“, schimpfte der Bademeis­ter, „aber du, scher dich hinaus!“

„Ich hab Eintritt bezahlt, nun will ich auch baden!“

„Ich mag dein Geld gar nicht sehn, raus nur aus meiner Stube! Soll ich dir die Tür zeigen?“

‚Nackig ist nicht gut fechten‘, dachte Till und ging ins Esszimmer, um sich dort anzuziehn.

Der Bademeister schloss die Tür ab, um ihn zu er­schrecken; da schiss Till noch einen zweiten Haufen auf den Tisch und sprach, als ihn der Bademeister doch endlich hi­naus­ließ: „Nun endlich fühl ich mich gänzlich gereinigt.“

 

 Die Freigebigkeit 

Als Till Eulenspiegel vor den hannöverschen Toren am Acker entlang ritt, begegneten ihm zwölf Blinde, die fragte er: „Heda Leute, woher des Wegs?“

Die Blinden hörten ein Pferd scharren und glaubten, ein ehrlicher Mann sitze vor ihnen im Sattel; sie zogen die Hüte und sprachen: „Lieber Junker, wir kommen aus der Stadt, von der Seelenmesse für einen reichen Mann, wo gespendet wurde.“

„Es ist bitterkalt“, sagte Till, „hier habt ihr zwölf Gulden, geht zurück in die Stadt und verlebt den Winter in der Alten Herberge hinter dem Leinetor, bis der Frost sich verzogen hat und ihr weiterwandern könnt!“

Die Blinden verneigten sich tief und dankten Eulenspiegel ganz überschwenglich, weil jeder glaubte, einer der Ihren werde die Münzen eingesteckt haben.

Der Leinewirt, bei dem sie einkehrten, hörte ihre Ge­schichte von dem freigebigen Fremden gern und freute sich schon auf den Verdienst: „Tut euch gütlich bei mir, liebe Gäste, ich schlachte gleich die Hühner!“

Er bekochte und beherbergte sie auf das Angenehmste, bis der Frühling nahte, doch dann räusperte er sich und deutete an, die zwölf Gulden könnten jetzt wohl aufgezehrt sein.

Die Blinden stimmten auch zu und fragten reihum, wer das Geld in Verwahrung genommen habe, um die Zeche zu zahlen; aber es konnte sich keiner mehr genau erinnern, obwohl sie einander höchst nachdrücklich ins Gewissen redeten und sich die Köpfe kratzten, bis sie zu dem Schluss kamen, möglicherweise betrogen worden zu sein.

„Wie soll ich nun meine Rechnungen begleichen?“, zürnte der Wirt, „werf ich euch raus, bringt mir das noch nichts ein, und behalt ich euch hier, wird mein Schaden immer größer!“

Mit diesen Worten sperrte er sie in den Schweinestall und setzte ihnen gehäckselte Haferspreu vor.

Als Eulenspiegel vermuten konnte, dass die Blinden derweil für zwölf Gulden getafelt haben mochten, ritt er durchs Leinetor in den Wirtshof. Beim Festbinden des Pferdes sah er die Gefährten im Stall sitzen.

Da sprach er zum Wirt: „Ist hier denn keine Kammer frei für die Armen, Kranken, Waisen, Tauben und Blinden, damit kein Zipperlein in deren Glieder fährt?“

„Ich gebe jedes Zimmer her, wenn mir die Zeche bezahlt wird“, erwiderte der Wirt und berichtete Till, wie man ihn betrogen hatte.

„Würden Sie auch einen Bürgen annehmen?“, fragte Eulenspiegel.

„Aber gerne doch, dann lass ich die Blinden sofort laufen.“

„Ich werde mich in der Stadt umhören“, sagte Till und suchte den Pfaffen auf, dem er erzählte, sein Wirt sei letzte Nacht von bösem Geist befallen worden, ob er wohl helfen könne.

„Oh weh“, sagte der Priester, „eine Austreibung darf man nicht überstürzen!“

„Dann hol ich seine Frau her“, erwiderte Till, „damit sie die Auskunft von Ihnen selbst erhält.“

Zum Wirt aber sprach er: „Ich hab einen Bürgen für dich aufgetrieben, dein Pfaffe will dir geben, was immer du brauchst!“

Der Wirt war hocherfreut und rief gleich seine Frau herbei, damit sie Eulenspiegel zum Geistlichen begleite; dort bekam sie zu hören, man möge sich lediglich noch zwei Tage gedulden.

Als er diese Nachricht erhielt, ließ der Wirt seine Blinden frei, und auch Till schlich davon.

Am dritten Tag jedoch ging die Frau zum Pfaffen hin und mahnte die zwölf Gulden an.

Der fragte: „Ist es das, was dir dein Mann aufgetragen hat? So melden sich die bösen Geister, sie wollen Geld haben!“

„Es ist kein böser Geist, Begleichung der Zeche zu fordern“, erwiderte die Frau.

Aber der Pfaffe sagte: „Schaff mir deinen Mann herbei, ich werde ihm abhelfen!“

Die Frau verließ ihn mit den Worten: „So reden Lügner, wenn sie bezahlen sollen!“

Ihr Mann steckte am nächsten Tag sein Schlachtemesser ein, bevor er zum Priester ging.

Der Gottesmann rief seine Nachbarn zu Hilfe, segnete sich und sprach: „Seht nur, wie dieser Mensch von bösem Geist besessen ist!“

„Ich will mein Geld haben!“, schrie der Wirt und stürzte sich auf den Pfaffen.

Mit knapper Not konnten die Bauern ein Blutbad verhindern, doch solange der Mundschenk lebte, forderte er von dem Priester die Zeche der Blinden ein, die Eulenspiegel zu ihm geschickt hatte, während sein Bürge behauptete, er sei dem bösen Geist verfallen, doch man werde ihm helfen können.

 

 Die Einigung 

Als Eulenspiegel auf dem Bremer Wochenmarkt einmal die Bäuerinnen sah, die so viele Krüge Milch feilboten, rollte er ein großes Fass herbei und stellte es inmitten der Stände hin, um ihnen die Ware abzukaufen.

Er schrieb reihum einer jeden auf, wie viel sie hineingeschüttet hatte, und sagte: „Warten Sie, bis ich die Milch beisammen habe, dann bezahl ich alles!“

Nachdem aber der Bottich gefüllt und auf dem ganzen Markt keine Milch mehr zu bekommen war, fiel es Till ein zu sagen, er habe versehentlich kein Geld eingesteckt; man möge sich gedulden, bis er in gut vierzehn Tagen wiederkomme.

„Das kommt gar nicht in Frage!“, rief eines der Marktweiber, die nun schon stundenlang auf ihr Geld warteten, „wer weiß, ob du uns hier nicht sitzenlässt!“

„Wenn Sie nicht so lange warten wollen, dürfen Sie sich Ihren Anteil selbst­verständlich wieder herausnehmen“, sagte Till und ging von dannen.

Noch am Abend stritten die Frauen darüber, welche wie viel in das Fass gegossen hätte, bis sie sich zu guter Letzt die Krüge an die Köpfe schlugen und alle Milch verschüttet war.

 

 Das Recht 

Als Till Eulenspiegel, in der einen Hand eine leere, in der andern eine noch halb mit Brunnenwasser gefüllte Kanne, den Weinkeller zu Lübeck betrat, hörte er den Ratswirt hinterm Schanktisch prahlen: „Den Kerl möcht ich mal sehn, dessen Witz mich betrügt!“

Eulenspiegel verbarg den schweren Krug unter seinem Umhang und ließ den leichteren halb mit Wein füllen. Während der Zapfer beschäftigt war, schob Till das Tongefäß mit Brunnenwasser unter den Tisch und fragte: „Wieviel kos­tet der Wein?“

„Zehn Pfennig“, sagte der Wirt knurrig, setzte die Kanne hart ab und wandte sich einem andern Zecher zu.

Eulenspiegel umhüllte das Gefäß mit seinem Mantel, bückte sich zum Beutelchen hinab und entgegnete dann: „Das ist zu teuer, ich habe nur sechs Pfennig! Krieg ich den Wein dafür?“

„Willst du den Herrschaften die Preise festsetzen?“ brummte der Wirt. „Wenn du nicht zahlen kannst, dann geh!“

„Wenn Sie meine sechs Pfennig nicht haben wollen“, sprach Eulenspiegel und reichte ihm die Kanne, „dann gießen Sie Ihren Wein halt wieder zurück.“

„Dieser Narr“, schimpfte der Wirt und schüttete den Kanneninhalt in das Fass zurück, „lässt Wein zapfen und will nicht zahlen!“

„Selber Narr“, sprach Till Eulenspiegel und trug seine leere Kanne offen hinaus, „will Wein zapfen und lässt nicht zahlen!“

Diese Worte gaben dem Wirt schwer zu denken, und als er nach einigen Augenblicken der Besinnung einen Gast, der nah bei der Tür stand, fragte, wohin Eulenspiegel gegangen sei, erhielt er die beunruhigende Antwort, falls die Suche jenen Gesellen mit den beiden Kannen betreffe, so sei der in Richtung Stadttor hinfort geeilt.

Der Wirt schickte zwei Häscher hinterher, die Eulenspiegel auf einem Feld vor der Stadt antrafen, wo er die Kanne schon bis auf ein Viertel geleert hatte.

Die Häscher verlangten auch einen Schluck, weil sie dürsteten, führten das Gefäß, das Till ihnen freundlich überreichte, an die Lippen und sprachen sodann: „Das ist Wein aus unserm Keller, den hast du dort gestohlen!“

Am Strick wurde Till in das Gefängnis gezerrt, und weil in Lübeck ein sehr scharfes Recht bezüglich des Eigentums gilt, lautete das Urteil, das die Schöffen fällten, auf den Tod am Galgen.

Am Tag, als Eulenspiegel zum Richtplatz geführt wurde, waren alle Leute auf den Beinen; sie wollten sehn, was er für ein Ende nähme, hätten ihm aber größtenteils Freiheit gegönnt.

Eulenspiegel schwieg und wirkte still verzweifelt, doch als er unterm Galgen stand, öffnete er den Mund und sprach: „Oh Ratsherren der Stadt Lübeck! Ich bitte Sie unterwürfigst, mir einen letzten Wunsch zu erfüllen! Ich will nicht um Leib und Leben betteln, oder um Geld und Gut, sondern darum, mir noch etwas Gutes zu tun, nicht etwa, mir Seelenmessen zu halten oder zu spenden, und auch nicht, mich in ewiger Erinnerung zu bewahren, sondern bloß um eine Kleinigkeit, die ganz ohne Kosten und Schaden mit Leichtigkeit bewerkstelligt ist.“

Die Ratsherren traten beiseite und wägten sorgfältig Fürsprache gegen Bedenken ab; schließlich entschieden sie, dass dieser letzten Bitte stattzugeben sei, sofern sie innerhalb der zugesagten Einschränkungen verbleibe.

„Wollen Sie mir darauf die Hand geben?“, fragte Eulenspiegel, und die hohen Herren des Rates der Stadt Lübeck schlugen ein.

„So bitt ich also“, sprach Till und holte tief Luft, „dass mir der Weinschenk, sobald ich nun gehenkt bin, drei Tage lang morgens nüchtern den Arsch ableckt!“

„Pfui Teufel!“ spuckten die Ratsherren aus und fragten den erblassenden Wirt unter dem Gejohle der Leute, ob er bereit sei, des Diebes letzten Wunsch zu erfüllen.

Da Beschlüsse des Lübecker Stadtrats nun mal peinlich streng einzuhalten und auszuführen sind, zog es der Wirt vor, seine Klage auf Zechbetrug fallen zu lassen, und Eulenspiegel wurde aus der Stadt gejagt.

 

 Die Heiligkeit 

Nachdem Eulenspiegel wegen seiner Streiche im ganzen Land in Verruf geraten und nirgends mehr willkommen war, wo er sich ohne Verkleidung zeigte, auch keine Möglichkeit mehr sah, sich in Müßiggang zu ernähren und mit Glücksspiel Geld zu verdienen, wie er es zur Jugendzeit getrieben hatte, da grub er nachts auf dem Kirchhof einen Totenschädel aus und strich ihn mit Silberfarbe an.

In ein Priestergewand gehüllt, ritt er nach Pommern, wo sich die Pfaffen mehr an den Trunk halten denn als Gebet, ganz wie Noah, der als erster einen Weinberg pflanzte und nackig im Zelt herumlag.

Wenn in einem Dorf Kirchweih war, Hochzeit oder Taufe, begab sich Eulenspiegel zum Seelsorger und bot ihm an, eine Messe zu halten und ihm die Hälfte der Opfergaben zu überlassen. War das Gotteshaus wohlgefüllt, stieg Till auf die Kanzel und sprach vom ehernen Bund, der Arche, den himmlischen Broten im goldenen Eimer und dem Silberhaupt des Heiligen Brandonus, er hielt es bei diesen Worten in die Höhe, welches nach dessen langer Irrfahrt zur Insel der Seligen an die Ufer des Flusses Tiber gespült worden sei. Er habe den Auftrag, Spenden für den Bau einer Bradonuskirche zu sammeln, sagte Till, werde jedoch bei seinem Leben kein Opfer von einer Frau nehmen, die des Ehebruches schuldig sei.

Nach dieser Rede gab er den Bauersleuten das Haupt des toten Hufschmieds oder Stallbuschen zu küssen, welches er ausgegraben hatte, erteilte den Segen und ließ den Pfaffen die Lobgesänge anstimmen und seine Schellen erklingen.

Da stürzten die Frauen zur Kanzel, um ihre Opfer abzuliefern, und am eifrigsten drängten sich jene nach vorn, deren Ruf im Dorf am allerschlechtesten war. Wenn eine kein Geld hatte, warf sie Schmuck oder Goldring in die Schale, und Hochwürden Eulenspiegel wies keine der Gaben zurück, auch nicht jene derer, die doppelt oder dreifach spendeten.

Unter Androhung des Kirchenbannes warnte Till die Frauen davor, sich auf Bübereien einzulassen, da sie nun frei davon seien, und weil ihn die Gläubigen für einen frommen Mann hielten, brachte er es mit seiner mal richtig zu Geld, einige Jahre lang.

 

 Die Zahl 

Als Eulenspiegel nach Helmstedt kam, klopfte er beim Abt von Mariental an die Klosterpforte und sprach: „Bitte nehmt mich doch als euren Bruder auf, denn ich hab alle Länder durchlaufen und bin darüber in die Jahre gekommen und verdrießlich geworden, ich will mich Gott ergeben in meiner Armut und Ihm dienen für meine Sünden, die ich hinter mir lassen möchte, damit meine Seele nicht verloren ist!“

Solche Reden gefielen dem Klostervorsteher, weil er ein Herz hatte für Narren. Er sagte: „Ich will dich gern aufnehmen, doch du musst ein Amt ausführen, denn jedem von uns ist etwas zu tun befohlen!“

Eulenspiegel erklärte demutsvoll: „Gewiss, Herr.“

„Da du nicht so gern arbeitest, könntest du unser Pförtner sein“, sagte der Abt, „dann darfst du in deinem Schlafgemach bleiben und hast kein Bekümmernis, als Bier und Speisen aus dem Keller zu holen und die Pforte zu öffnen oder zu schließen, wenn es läutet. Hier der Schlüssel, lass nur jeden dritten oder vierten herein, denn die Wanderer fressen unser Kloster arm!“

„Das vergelt Euch Gott“, verneigte sich Eulenspiegel, „dass Ihr mich armen, alten, kranken Mann so wohl bedenkt!“

In den Nachmittagsstunden des nächsten Tages erfreute sich der Abt an Sonne und besonders andächtiger Stille im Kräutergarten, musste später allerdings eine zunehmende Unruhe, ja Geschrei zur Kenntnis nehmen, das offenkundig jenseits der Mauer entstand.

„Willst du die Hungrigen nicht eintreten lassen, Bruder Eulenspiegel?“, fragte der Abt.

„Ich habe jedem viertem aufgesperrt“, erwiderte Till, „die andern fressen bloß das Kloster arm!“

„Das mag wohl stimmen“, knurrte der Abt, bevor er das Tor selbst aufsperrte, „aber es sind doch deine Brüder, die vom Acker heimkehren, sie gehören alle hierher. Du bist ein Schalk, Eulenspiegel! Ich werde dir lieber ein andres Amt geben, damit du deine Brüder besser kennenlernst. Zähl heute die Mönche zur Mitternachtsmesse; wenn du einen übersiehst, musst du weiterwandern!“

„Das fällt mir sehr schwer, doch ich werde mir Mühe geben“, antwortete Till.

Am späten Abend sägte er mehrere Stufen der hölzernen Stiege an, die hinauf zu den Schlafkammern führte.

Als kurz vor Mitternacht der Frommste der Mönche wie stets als Erster zur Messe herunterkommen wollte und auf die oberste Stufe trat, krachte das wacklige Brett entzwei, sodass der Mönch die Treppe hinunterstürzte und sich die Beine brach.

Auf dessen Schmerzgeheul eilten seine Brüder hinzu, um zu sehn, was geschehn sei, und stürzten so einer nach dem anderen hinunter, wo früher die Stiege war.

„Ich habe sie alle genau gezählt“, sagte Till und reichte dem Abt ein Kerbholz, doch obwohl die Summe der Schnittmarken ganz richtig war, wurde er davongejagt.

„In Mariental hab ich wirklich nicht länger bleiben können“, erzählte Eulenspiegel im nächsten Wirtshaus, „da fallen im Dunkeln die Mönche übereinander her!“

 

 Der Grund 

Wegen seiner fortgesetzten Spitzbübereien war es Eulenspiegel bei Todesstrafe verboten worden, das Herzogtum Lüneburg zu betreten; er wollte sich freilich bei seiner Wander­schaft keinesfalls amtlich gängeln und auf Umwege befehlen lassen.

Als Till in der Celler Herberge erfuhr, am kommenden Tag werde der Herzog anreisen, zog er mit dem Pferdekarren vor das Stadttor und fragte einen Bauern, wessen Grund er dort beackere.

„Das ist mein eigener“, sprach der Mann, „ich hab ihn von meinem seligen Vater geerbt!“

„Wie viel verlangt Er denn für eine Wagenladung von seinem Erdreich?“

„Das ist feinster Mutterboden, dafür nehm ich einen Schilling!“

Till zog etwas Kleingeld hervor und warf seinen Karren mit Ackergrund des freien Bauern voll, dann pflanzte er sich selbst in die gekaufte Krume hinein wie eine Knoblauch­zwiebel und fuhr bollernd bis vor die Celler Burg.

Da kam auch schon der Herzog mit seinem Gefolge herbeigeritten und rief aus: „Wie ist es möglich, dort sitzt ja der Kerl, dem ich geschworen hab, ich lass ihn hier an den Galgen knüpfen, wenn er mir nochmals vor die Augen tritt!“

„Ich befinde mich doch gar nicht in Eurem Land, Euer Gnaden!“, sprach Till, berichtete von dem Kauf und strahlte dabei wie der Klatschmohn, als er so dasaß, mit rotem Jäckchen in seiner Sandkiste.

Da schimpfte der Herzog: „Fahr hin mit deinem Grund aus meinem Land, bevor ich dein schäbiges Reich rädern und vierteilen lasse!“

„Nein, dann soll es lieber unzerstückelt an Euer Her­zogtum fallen“, sagte Till und sprang hervor. Auf seinem Ross ritt er in die Ferne, aber den Karren mit Heidesand ließ er vor der Burg stehn.

 

 Die Seligkeit 

Eulenspiegel fühlte sich, als er nach Mölln kam, schon ganz elend und schwach; der Quacksalber neben der Herberge gab ihm eine scharfe Arznei, deren Wirkung bei Morgen­grauen einsetzte.

Eulenspiegel hämmerte gegen die Tür und schleppte sich in den Laden, als ihm geöffnet wurde, dann griff er nach einer Büchse vom Brett und schiss hinein: „Hier bring ich dem Pillendreher sein Mittelchen zurück, damit Er keinen Schaden leide!“

„So geht es nicht!“, sprach der Heilkundige. „Wenn Er meine Hilfsleistung nicht aus eigener Tasche bezahlen kann, muss Er sich im öffentlichen Krankenhaus behandeln lassen, ich rufe schnell den Siechenkarren, Ihn zum Heiligen Geist zu fahren!“

„Nun kommt es ganz anders“, seufzte Till, „ich habe doch immer gebetet, er möge in mich hineinfahren!“

Die Mutter wurde herbeigerufen: „Ach, ich arme alte Frau!“, klagte sie, „wo bist du denn so krank, mein lieber Sohn?“

„Hier zwischen Kissen und Wand! Wer nichts hat, dem soll man geben. Mein Gut ist verborgen, nimm dir, was du findest; ich gebe dir von meinem Gut alles, was krumm und recht ist!“

Einer Betschwester, die herbeikam und ihm empfahl, seine Sünden zu bereuen, damit er desto süßer stürbe, erwiderte Eulenspiegel: „In Süße sterb ich nicht, weil der Tod bitter ist, aber was gäb es zu beichten? Im ganzen Land ist jedem bekannt, was ich getan hab. Mir tut es aber leid um drei Dinge, die ich unterlassen habe. Als ich noch ein kleiner Junge war, ging einmal ein Mann vor mir her, dem sein Rock so weit unter dem Mantel raushing, dass ich ihn am liebsten abge­schnit­ten hätte; und einmal hab ich gesehn, wie sich jemand mit einem Messer im Gebiss pulte, dem hätt ich so gern die Klinge in den Hals gestoßen; vor allem reut mich aber, dass ich nicht all den alten Weibern, die keinem auf Erden mehr nützen, den Arsch zugeflickt habe!“

„Ich bin eine Frau von sechzig Jahren, Eulenspiegel!“, rief die Betschwester, „du hättest wohl auch mir das Loch zugenäht?“

„Ich bereu, dass ich es unterlassen habe!“

„Hol dich der Teufel!“, rief die Betschwester und ließ ihn liegen.

„So andachtsvoll sind Frauen im Zorn“, sagte Till.

Ein Pfaffe wurde hergebracht, der sprach: „Bedenke dein Seelenheil an deinem Ende, du bist ein abenteuerlicher Geselle gewesen und hast viele Sünden getrieben, das möge dir leid tun! Wenn du Geld erspart hast, so rat ich dir, es unserem Herrgott zu verehren und einem armen Priester wie mir zu geben, ich werde deiner gedenken und dir Totengebete und Seelenmessen halten!“

„Ich will mich besinnen“, sagte Till, „kommen Sie am Nachmittag wieder!“

Als der Pfarrer nach wenigen Stunden erneut ins Kran­ken­zimmer trat, wies Till zu seinem Nachttopf auf dem Fensterbrett, der bis zum Rand gefüllt war, sodass der Pries­ter schon von der Tür aus die Münzen darin funkeln sah, und sprach: „Greifen Sie zu, Hochwürden, aber bitte nicht zu tief!“

„Das will ich genauestens befolgen“, versprach der Pfarrer, schlug seine Hand in den Topf, rief aus: „Oh, wie nass und weich ist dieser stinkende Nachlass!“, war bis zu den Knöcheln besudelt, hielt aber nur ein paar beschissene Groschen in Händen.

„Pfui Teufel!“, schimpfte er, „noch in deinem Ende betrügst du mich! Wie mag es denen ergangen sein, denen du zu Lebzeiten begegnet bist?“

„Ich habe Sie doch gewarnt.“

„Du bist ein Schalk unter den Narren“, sprach der Priester und ließ ihn liegen.

„Beten Sie tüchtig, und nehmen Sie das Geld mit!“, rief Till hinterher.

Als er dann immer kränker geworden war, setzte er ein Vermächtnis auf, gab seinen Freunden, dem Stadtrat und dem Kirchenherrn von Mölln jeweils ein Drittel seines Besitzes und verfügte, wenn Gott über ihn gebiete, möge man seinen Leichnam im geweihten Erdreich bestatten, ihm Totengebete sprechen und Seelenmessen abhalten, wie der Brauch es befehle; nach vier Wochen dürfe man gemeinsam die Kiste aufschließen, die in seiner Kammer stehe, und ihren Inhalt einhellig miteinander teilen.

Sobald Eulenspiegel seinen Geist aufgegeben hatte, kamen die Leute ins Sterbe­zimmer, legten ihn auf die Bahre und beweinten ihn; doch kaum hatte der Pfaffe zum Totengesang angehoben, lief die Sau des Krankenhauses mit ihren Ferkeln herbei und begann, sich an den Stützen zu jucken, auf denen der Sarg ruhte, worauf dieser von der Bahre polterte. Die Frauen wollten die Sau zur Tür hinausjagen, versetzten sie aber in Zorn, sodass sie mit ihren Ferkeln quiekend umhersprang, über stöhnende Kranke, zwischen kreischenden Betfrauen, bis der Pfaffe die Totenmesse abbrach und flüchtete: „Euren Eulenspiegel könnt ihr selber begraben, ich komme nicht wieder hierher!“

Nachdem sich die Sau verzogen hatte, setzten die Betfrauen den Sarg wieder auf die Bahre, wobei Till auf dem Bauch zu liegen kam. Da lachten sie und sagten: „Er zeigt uns, dass er nicht begraben werde möchte wie die andern Leute!“

Sie trugen ihn zum Kirchhof, legten den Sarg auf die beiden Seile und senkten ihn ins Grab; da riss einer der Stricke, und Eulenspiegel stürzte kopfüber in die Grube hinein, den Arsch in die Höh, und blieb so stecken.

Einen Monat nach Eulenspiegels Tod kamen Stadtrat, Kirchherr und Freunde zusammen und wollten den hinterlassenen Schatz teilen, doch als die Kiste geöffnet wurde, fanden sich nur ein paar Steine darin.

„Der Stadtrat hat diese Kiste verwahrt!“, zürnte der Pfarrer.

„Aber die Freunde haben sie ins Amtshaus getragen!“, schimpften die Stadträte.

„Der Pfaffe war allein in der Kammer, als Eulenspiegel beichtete!“, stellten die Freunde klar.

Man trennte sich in Unfrieden.

Sie wollten Till wieder aus der geweihten Erde raus­wühlen, doch war er faul, dass er schon stank wie der Teufel, daher wurde das Loch schnell erneut zugescharrt.

„Das ist ein Taugenichts und ein Tunichtgut, der dort unten ruht“, riefen die Bauern und schleiften mit sechs Ochsen einen Findling herbei, der auf das Grab gesetzt wurde, sobald ein Steinmetz die Worte eingemeißelt hatte: „Diesen Stein soll keiner wegtragen! Hier steht Eulenspiegel begraben.“

 

 

 Inhalt 

 

  1. Die Taufe
  2. Die Gastfreundschaft
  3. Die Geschicklichkeit
  4. Die Notwendigkeit
  5. Die Schwere
  6. Die Ähnlichkeit
  7. Die Achtsamkeit
  8. Die Hälfte
  9. Die Mitte
  10. Die Leidenschaft
  11. Die Tüchtigkeit
  12. Der Niedergang
  13. Die Bekehrung
  14. Die Nützlichkeit
  15. Die Gefälligkeit
  16. Die Angemessenheit
  17. Die Pfändung
  18. Die Waschung
  19. Die Wandlung
  20. Die Beratung
  21. Die Bildung
  22. Die Heilung
  23. Die Einbildung
  24. Die Köstlichkeit
  25. Die Reinlichkeit
  26. Die Freigebigkeit
  27. Die Einigung
  28. Das Recht
  29. Die Heiligkeit
  30. Die Zahl
  31. Der Grund
  32. Die Seligkeit

 

„Unnd bit hiemit einen jet­li­chen, wa mein Schrifft von Ulen­spie­gel zu lang oder zu kurtz sei, das er das bes­ser, uff das ich nit Un­danckt ver­diene.“
Hermann Bote (um 1510)

 

 

 

„Das wollen wir doch erst mal prüfen“, zweifelte Till, und beim Nachmessen zeigte sich dann: Der Scheißsshaufen lag zwei Schritte außsserhalb der Kirchenmitte